Die Amatoxine, auch Amanitine genannt, sind die wichtgsten Pilzgifte der Knollenblätterpilze und einiger anderer Pilzarten. Sie sind in Deutschland und Europa für über 90% der tödlich verlaufenden Pilzvergiftungen verantwortlich. Auch wenn sich mittlerweile seit einigen Jahren die Zahl der bundesweit registrierten Todesfälle aufgrund von Pilzvergiftungen auf durchschnittlich einen Fall pro Jahr verringert hat (Statistisches Bundesamt), ist das immer noch zuviel.
Leider führen Unkenntnis und Sorglosigkeit zu den meisten Pilzvergiftungen. Mit wenigen Pilzkenntnissen sind die tödlich giftigen Verwechslungskandidaten sicher von eßbaren Pilzen zu unterscheiden, z.B. der Grüne Knollenblätterpilz vom bisher als eßbar angesehenen Grünling oder die weißen Knollenblätterpilze (Frühlings- und Kegelhütiger Knollenblätterpilz) von eßbaren Champignons.
Übrigens beinhalten die Knollenblätterpilze auch gleichzeitig ein Gegengift, das bei mindestens gleichzeitiger (oder besser vorheriger) Einnahme die Giftwirkung von α-Amanitin und Phalloidin aufheben kann. Es handelt sich hierbei um das zyklische Dekapeptid Antamanid, das aus den L-Aminosäuren Alanin, Phenylalanin, Prolin und Valin aufgebaut ist (im Verhältnis 1:4:4:1). Leider ist die Konzentration des Antamanids in den Pilzen sehr gering, so daß die Giftwirkung überwiegt.
Das Molekül des α-Amanitins in einer 3D-Darstellung.
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Die Amanitine bzw. Amatoxine sind eine Gruppe von derzeit acht bekannten Pilzgiften, die gemeinsam mit den Phallotoxinen in Knollenblätterpilzen der Arten:
sowie in sieben Arten der Gattung Häublinge (Galerina), z.B. dem
und in Arten der Gattung Schirmlinge (Lepiota), z.B. dem
vorkommen. Ein neuntes Toxin, Amaninamid, kommt ausschließlich im Kegelhütigen Knollenblätterpilz (Amanita virosa) vor. Diese Art enthält darüber hinaus Virotoxine. Auch in außereuropäischen Arten der Wulstlinge (Amanita) wurden Amatoxine nachgewiesen. Es handelt sich hierbei um die vorzugsweise in Nordamerika beheimateten Arten Amanita bisporigera, Amanita hygroscopica, Amanita ochreata, Amanita suballiacea und Amanita tenuifolia.
Bei den Amatoxinen handelt es sich um bizyklische Oligopeptide, die ein zentrales Tryptophan- Ringsystem, eine Sulfidbrücke und eine Isoleucin- Seitenkette enthalten. Sie sind aus 8 Aminosäuren aufgebaut. Beteiligt sind die Aminosäuren Asparagin, Asparaginsäure, Cystein, Glycin, Hydroxyprolin, Isoleucin und Tryptophan sowie das erstmals in den Amanitinen entdeckte (4R)-4,5-Dihydroxy-L-Isoleucin.
Der zyklische Aufbau des Moleküls macht es beständig gegen die Proteasen (eiweißabbauende Enzyme) des Magen-Darm-Traktes und aufgrund der Verbrückung ist das Molekül auch nicht durch die üblicherweise bei der Pilzzubereitung angewandten Prozesse (Trocknen oder Erhitzen) zu zerstören. Mehrminütiges Erhitzen auf 100°C überstehen diese Giftstoffe unzerstört.
Name | R1 | R2 | R3 | R4 | R5 |
α-Amanitin | CH2OH | OH | OH | NH2 | OH |
β-Amanitin | CH2OH | OH | OH | OH | OH |
γ-Amanitin | CH3 | OH | OH | NH2 | OH |
ε-Amanitin | CH3 | OH | OH | OH | OH |
Amanullin | CH3 | H | OH | NH2 | OH |
Amanullinsäure | CH3 | H | OH | OH | OH |
Proamanullin | CH3 | H | H | NH2 | OH |
Amanin | CH2OH | OH | OH | OH | H |
Amaninamid* | CH2OH | OH | OH | NH2 | H |
* Amaninamid kommt nur im Kegelhütigen Knollenblätterpilz (Amanita virosa) vor.
Mit Hilfe des sogenannten Lignin-Tests lassen sich Amatoxine nachweisen. Hierzu werden auf einem weißen Streifen einer Tageszeitung (holzfreies Papier aus Hochglanzzeitungen ist nicht geeignet!) Pilzreste aufgebracht und mit einigen Tropfen 10%-ige Salzsäure beträufelt. Das Papier färbt sich an der betroffenen Stelle bei Vorliegen von Amatoxinen blau-violett. Die Nachweisgrenze liegt bei etwa 20 µg*ml-1. Der Nachweis kann das Vorhandensein von Amatoxinen bestätigen, er ist aber nicht geeignet, es zuverlässig auszuschließen.
Die mittlere letale Dosis LD50 beträgt für einen Menschen 0,1 mg*kg-1. Bei einem durchschnittlichen Gehalt von 80 mg Amanitin je kg Frischpilz reicht somit ein einziger Knollenblätterpilz aus, um einen erwachsenen Menschen zu töten. Für einen Erwachsenen sind durchschnittlich 50g, für ein Kind etwa 15g Frischpilz tödlich.
Klinische Bedeutung besitzen nur α-, β- und γ-Amanitin. Alle anderen Amatoxine sind entweder schwächer wirksam oder in geringeren Konzentrationen enthalten und treten somit in ihrer Giftwirkung gegenüber den vorgenannten Toxinen zurück. Die Wirkung der Amatoxine beruht auf einer Hemmung der RNA-Polymerase II (auch RNA-Polymerase B genannt) und verhindert damit die Synthese wichtiger körpereigener Eiweiße in der Leber. Dieser Vorgang führt zum Absterben von Zellen vorzugsweise in Leber, Nieren, Herz, Magen/Darm-Trakt und damit zum Organversagen.
Die Amanitine werden relativ schnell vom Magen-Darm-Trakt resorbiert, so daß schon 2 bis 3 Stunden nach Pilzverzehr ein Spitzenwert im Blut erreicht wird. Erste Symptome treten jedoch in der Regel erst nach 8 bis 12 (4 bis 48) Stunden beschwerdefreiem Verlauf ein. Sie äußern sich zunächst in gastrointestinalen Beschwerden, wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfällen.
Danach folgt ein 12 bis 24-stündiges beschwerdefreies Intervall, während dessen die Amatoxine einem enterohepatischen Kreislauf unterliegen: indem sie durch die Galle in den Darm ausgeschieden werden, gelangen sie erneut in den Verdauungstrakt.
Etwa 2-4 Tage nach Pilzverzehr kann es dann zu Leber- und Nierenversagen kommen. Die Angaben zur Sterblichkeit bei rechtzeitig behandelten Vergiftungen schwanken zwischen 8-22% bei Erwachsenen, die Sterblichkeit von Kindern unter 10 Jahren liegt bei über 50%.
Name | Summenformel |
Molekulargewicht |
LD50 Maus, oral |
LD50 Mensch, oral |
[g*mol-1)] |
[mg*kg-1] |
[mg*kg-1] |
||
α-Amanitin | C39H54N10O14S | 918,97 | 0,3 | 0,1 |
β-Amanitin | C39H53N9O15S | 919,95 | 0,5 | 0,1 |
γ-Amanitin | C39H54N10O13S | 902,97 | 0,2 | 0,1 |
ε-Amanitin | C39H53N9O14S | 903,96 | 0,3 | 0,1 |
Amanullin | C39H54N10O12S | 886,97 | mehr als 20 | ungiftig |
Amanullinsäure |
C39H53N9O13S |
887,96 |
mehr als 20 | ungiftig |
Proamanullin |
C39H54N10O11S |
870,97 |
mehr als 20 | ungiftig |
Amanin | C39H53N9O14S | 903,82 | 0,5 | 0,1 |
Bei der Behandlung kommen Penicillin G und Silibinin (ein Wirkstoff aus der Mariendistel) zum Einsatz; Penicillin G als darmsterilisierendes Mittel, Silibinin zur Leberstärkung. Durch den Einsatz beider Mittel konnte die ursprünglich deutlich höhere Sterblichkeit auf die vorgenannten Zahlen gesenkt werden. Auch bei einer überstandenen Vergiftung ist mit bleibenden Organschäden. vor allem der Leber, zu rechnen.
Der Wirkmechanismus des Silibinin besteht darin, daß es die Andockstelle der Amatoxine am Molekül der Polymerase II besetzt und damit für diese blockiert.