(L.) Hook. 1797
Der Fliegenpilz (Amanita muscaria) aus der Gattung Wulstlinge (Amanitaceae) gilt als Vertreter der Giftpilze schlechthin. Der schöne Pilz ist zwar giftig, dennoch wurden Extrakte und Tees aus dem (getrockneten) Pilz wegen ihrer berauschenden und psychogenen Wirkungen gerne, nicht nur im Mittelalter, eingesetzt. Diese Anwendung verlangt allerdings viel Erfahrung und von einem Selbstversuch ist dringend abzuraten, denn der Gehalt an den hochwirksamen Inhaltsstoffen des Pilzes und deren Mischungsverhältnis untereinander schwankt je nach Standort und Umweltbedingungen erheblich.[1]
Hut: Jung halbkugelig, später gewölbt bis ausgebreitet, Hutrand gerieft. Huthaut glatt in kräftig roten bis rot-orangen Tönen, meist mit abwischbaren weißlichen Tupfen besetzt, Resten des Velum, einem Eihäutchen, das den aufwachsenden Pilz schützte. Hut Ø 6 bis 15 cm.
Stiel: Weißer, schlanker Stiel mit knollig verdickter Stielbasis und hängendem Stielring. Der Stiel ist oberhalb der knolligen Stielbasis schuppig gegürtelt. Stiel Ø 1 bis 2,5 cm, knollig verdickte Stielbasis bis 3 cm breit, Stielhöhe 8 bis 20 cm.
Lamellen: Frei stehende, weiße Lamellen, die auch nach dem Aussporen weiß bleiben.
Fleisch: Das weiße Fleisch ist fest, doch direkt unter der Huthaut befindet sich eine schmale, kräftig gelb-rötlich gefärbte Schicht, die den größten Teil der halluzinogenen Wirkstoffe des Fliegenpilzes enthält.
Sporen: Das Sporenpulver ist weißlich, die Sporen sind elliptisch, 9-12 x 6-9 µ groß und inamyloid.
Bilder oben: Junge Fliegenpilze mit den charakteristischen weißen Tupfen auf der Hutoberfläche, Resten des Velum generale. | |
Bild oben: Ausgewachsenes Exemplar mit ausgebreitetem Hut und leicht gerieftem Hutrand. | Bild oben: In der kräftig gelb-rötlich gefärbten Schicht unter der Huthaut ist der größte Teil der halluzinogenen Substanzen des Fliegenpilzes konzentriert. |
Bild oben: Großer, hängender Stielring, Überbleibsel des Velum partiale. | Bild oben: Schuppig gegürtelte Stielbasis des Fliegenpilzes. |
Gifte/ Wirkstoffe | Gehalt | Farbstoffe |
ca. 0,1 % |
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ca. 0,19 % d.w.[2] |
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ca. 0,0003 % 0,009 % [2] |
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Der Fliegenpilz enthält ursprünglich hauptsächlich Ibotensäure[2], aus der sich beim Trocknen oder Erhitzen des Pilzes durch Decarboxylierung (Abtrennung von CO2 aus der Carboxygruppe -COOH) das halluzinogen wirksame Muscimol bildet. Beide Substanzen werden aufgrund ihrer Giftwirkung, die Vergiftungen durch Hyosciaminhaltigen Pflanzen, wie Stechapfel (Datura stramonium), Tollkirsche (Atropa belladonna) und Bilsenkraut (Hyosciamus niger) gleicht, auch als "Pilzatropine" bezeichnet.
Die höchste Konzentration der halluzinogen wirkenden Stoffe findet sich dabei in der Huthaut und in der kräftig gelb-rötlichen Fleischschicht direkt darunter. (Ibotensäure 548 nmol*g-1, Muscimol 366 nmol*g-1[3]) Die Pilzhüte enthalten mehr toxische Stoffe als die Stiele. (Ibotensäure: 990mg*kg-1 in den Hüten, 230 mg*kg-1 in den Stielen. Muscimol: 380 mg*kg-1 in den Hüten, 80 mg*kg-1 in den Stielen, jeweils aus Frischpilz, f.w.)[4]
Bereits Dosen von 10-15 mg des Muscimol können beim Menschen Rauschzustände herbeiführen, es ist damit um den Faktor 4-6 wirksamer als die mitunter auch als "Premuscimol" bezeichnete Ibotensäure. Muscarin hingegen- obwohl 1869 von Schmiedeberg und Koppe erstmals aus Fliegenpilzen isoliert[5]- ist nur in Konzentrationen von 2-3 mg/kg Pilzmasse enthalten und spielt für die Giftwirkungen des Fliegenpilzes allenfalls eine untergeordnete Rolle. Es ist in den geringen, im Fliegenpilz üblicherweise vorhandenen Konzentrationen allenfalls für geringfügige Erscheinungen eines gastrointestinalen Syndroms (z.B. Übelkeit) verantwortlich.
Die Hauptmenge der giftigen oder psychoaktiven Substanzen ist in der einige Millimeter dicken kräftig rot-orange gefärbten Huthaut konzentriert, nach Schälen der Huthaut und anfolgendem Abkochen des Pilzes (das Kochwasser wird verworfen) wurde und wird er in einigen Regionen in Mexiko[6] als Speisepilz verzehrt. In Italien wird der Pilz nach dem Abkochen und Verwerfen des Kochwassers in Salz eingelegt.[7]
Schon ein einzelner Pilz kann ausreichende Mengen an den psychoaktiv wirksamen Substanzen Ibotensäure und Muscimol enthalten, um einen Menschen in einen Rauschzustand zu versetzen, Mengen von 2-4 Fruchtkörpern sind üblich, der Genuß von bis zu 20 Fruchtkörpern wurde überlebt. Die rote Huthaut des Pilzes wird mitunter auch getrocknet und als Rauschdroge geraucht.[8]
Mykorrhizapilz, meist von Birken (Betula), Fichten (Picea) und auch Kiefern (Pinus), aber auch Tannen (Abies), Eichen (Quercus) und Zistrosen (Cistus), vorwiegend auf sauren Böden.[9] Von Sommer (Juli) bis in den Herbst (November) vorkommend, im gemäßigten Klima der Nordhalbkugel weit verbreitet und häufig.
Muscimol- Molekül
Die Symptome einer Fliegenpilz-Vergiftung ähneln zunächst einem schweren Alkoholrausch. Gleichgewichts- und Bewegungsstörungen, Halluzinationen und Gefühlsausbrüche münden in einen Tiefschlaf bzw. tiefe Bewußtlosigkeit von 10 bis 15 Stunden Dauer, aus dem die Betroffenen in der Regel ohne Erinnerung an das Geschehen wieder erwachen.
Die psychoaktiven Substanzen, besonders die Ibotensäure und in geringen Mengen auch das Muscimol, werden fast unverändert durch die Nieren ausgeschieden, weshalb Naturvölker (z.b. die Burjaken Sibiriens) den Urin ihrer berauschten Schamanen auffingen, um ihn selbst zu trinken und sich in Rauschzustände zu versetzen. Die Konzentration der psychoaktiven Substanzen reicht theoretisch für eine 4-5-malige Verwendung aus.
Die berauschende Wirkung des Fliegenpilzes bei kultischen Handlungen hat vermutlich auch seine Verwendung als Glückssymbol initiiert, so daß wir heute noch unbewußt Symbole und Riten unserer heidnischen Vorfahren nachahmen.
(Roter) Fliegenpilz
(Amanita muscaria)
(L.) Lam. 1783
TAXON | GBIF (deutsch) | GBIF (wiss.) | IF (deutsch) | IF (wiss.) |
Reich | Pilze | Fungi |
Pilze |
Fungi |
Stamm | Basidienpilze | Basidiomycota |
Basidienpilze |
Basidiomycota |
Unterabteilung | Ständerpilze | Agaricomycotina | ||
Klasse | Hutpilze | Agaricomycetes |
Hutpilze |
Agaricomycetes |
Unterklasse |
Hutpilzähnliche |
Agaricomycetidae | ||
Ordnung | Blätterpilze | Agaricales |
Blätterpilze |
Agaricales |
Familie | Wulstlingsartige |
Amanitaceae |
Wulstlingsartige |
Amanitaceae |
Gattung | Wulstlinge | Amanita |
Wulstlinge |
Amanita |
Art | (Roter) Fliegenpilz | Amanita muscaria |
(Roter) Fliegenpilz |
Amanita muscaria |
Amanita (L.) Lam., Encycl. Méth. Bot. (Paris) 1: 111 (1783) muscaria
Datum der letzten Einsichtnahme GBIF data portal: 21.12.2012
Datum der letzten Einsichtnahme Index fungorum: 19.12.2011
Der Fliegenpilz ist unter Umständen tödlich giftig, insbesondere für Kinder und ältere, kranke und schwächliche Menschen. Kräftige Erwachsene überstehen eine Fliegenpilz- Vergiftung durchaus.
Verwechslungsgefahr besteht so gut wie keine, der Pilz steht wie kein anderer für die giftigen Vertreter der Pilzgattung und ist über alle Altersgrenzen hinaus bekannt.
In bestimmten Regionen wurde und wird der Fliegenpilz als Speisepilz verwendet. Dazu wird die rot-orange Huthaut abgeschält und der Pilz abgekocht, das Kochwasser wird weggeschüttet. Anschließend wird der Pilz in der üblichen Weise zum Schmoren und Braten weiter verwendet.
Synonymy: (Amanita muscaria var. muscaria)
Venenarius muscarius (L.) anon.
Agaricus muscarius L., Sp. pl. 2: 1172 (1753)
Amanitaria muscaria (L.) E.-J. Gilbert, in Bresadola, Iconogr. Mycol.
27(Suppl. 1): 76 (1941)
Agaricus imperialis Batsch, Elench. fung. (Halle): 59 (1783)
Agaricus puellus Batsch, Elench. fung., cont. prim. (Halle): 59
(1786)
Amanita muscaria ? puella (Batsch) Pers., Syn. meth. fung.
(Göttingen) 2: 253 (1801)
Agaricus nobilis Bolton, Hist. fung. Halifax (Huddersfield)
2: 46, tab. 46 (1788)
Agaricus pseudoaurantiacus Bull., Hist. Champ. France (Paris)
3: 673, tab. 122 (1812)
Amanita muscaria ß minor Gray, Nat. Arr. Brit. Pl. (London)
1: 600 (1821)
Amanita circinnata Gray, Nat. Arr. Brit. Pl. (London)
1: 600 (1821)
Synonymy: (Amanita muscaria var. aureola)
Amanita aureola (Kalchbr.) Sacc., Syll. fung. (Abellini)
5: 12 (1887)
Amanita muscaria f. aureola (Kalchbr.) J.E. Lange, Dansk bot. Ark.
2(no. 3): 9 (1915)
Fly Agaric, Fly Amanita, Scarlet Flycap
Amanite toue-mouches, Fausse oronge
Ovolo malefico
Matamoscas, Falsa oronja
Мухомо́р кра́сный
Muchomor czerwony
Muchomůrka červená
[1] Benedict, R. G., Tyler, V. E. & Brady, L. R. (1966) Chemotaxonomic significance of isoxazole derivatives in Amanita species. Lloydia 29: 333–342.
[2] Stijve, T. (1981) High performance thin-layer chromatographic determination
of the toxic principles of some poisonous mushrooms. Mitteilungen aus dem Gebiete der Lebensmitteluntersuchung und Hygiene 72: 44–54.
[3] Gore, M. G. & Jordan, P. M. (1982) Microbore single-column analysis of pharmacologically active alkaloids from the fly agaric mushroom Amanita muscaria. Journal of Chromatography 243: 323–328.
[4] Gennaro, M. C., Giacosa, D., Gioannini, E. & Angelinio, S. (1997) Hallucinogenic species in Amanita muscaria. Determination of muscimol and ibotenic acid by ion-interaction HPLC. Journal of Liquid Chromatography and Related Technologies 20: 413–424.
[5] Schmiedeberg, O. & Koppe, R. (1869) Das Muscarin, das giftige Alkaloid des Fliegenpilzes, Vogel F. C. W.: 171–179. [Not seen; cited by Catalfomo & Eugster (1970b).]
[6] Pe´rez-Silva, E. & Herrera-Suarez, T. (1991) Iconografia de macromicetos de Me´xico. I. Amanita. Instituto de Biologia, Publicaciones Especiales. Universidad Nacional Autonoma de Me´xico 6: 26.
[7] Festi, F. (1985) Funghi Allucinogeni. Aspetti psicofisiologici e Storici. [Hallucinogenic mushrooms. Psychophysiological and historical aspects.] LXXXVI [Publication No. 86.] Museo Civico di Rovereto, Rovereto.
[8] Ott, J. (1978) Recreational use of hallucinogenic mushrooms in the United States. In Mushroom Poisoning, Diagnosis and Treatment (H. Rumack & E. Salzman, eds): 231–243. CRC, West Palm Beach.
[9.1] Pegler, D. N. (1983) Agaric Flora of the Lesser Antilles. Royal Botanic Gardens, Kew.
[9.2] Castro, M. L. (1998) Annotated checklist of the Amanitaceae (Agaricales, Basidiomycotina) of the Iberian Peninsula and Baleares Islands. Mycotaxon 57: 234.
[9.3] Contu, M. (2000) Saggio di una chiave per la determinazione delle specie del genere Amanita osservate in Sardegna. Bollettino del Gruppo Micologico G. Bresadola 43: 71.
[9.4] Curreli, S. (2000) Il genere Amanita negli impianti ad Eucalyptus della Sardegna. In Amanita, Numero monografico (63, No2). Bollettino del Gruppo Micologico G. Bresadola 43: 94.